Der Tod und das Mädchen - Titel

2. Einführung ins Verständnis der Gedichte von Al Imfeld

Einführung ins Verständnis der Gedichte von Al Imfeld

Es mag zunächst etwas vulgär erscheinen, Girlie-Figuren und Pin-up-Girls der Gegenwart, Diana und Hilton aufzugreifen und rund um sie Gedichte zu fügen. Aber all diese Ikonen und Gestalten sind für mich nichts anderes als Fortsetzungen in die Gegenwart hinein der griechischen, römischen oder hinduistischen Götterwelten. All diese Explosionen der Vorstellung zwingen zur Fortsetzung. Mythenbildung hört nicht einfach eines Tages auf.

Wir sind also von lauter Mythen und ihren Oszillationen - von uralt bis topp modern - umrankt; wir müssen die vielfältigen Mengen bloss zu sehen, dann aber auch zu besingen, heißt: zu deuten, lernen.

Wir könnten lernen, von scheinbar Blödsinnigem zu Tiefsinnigem durchzudichten. Alles ist mehrdeutig; Eindeutiges gibt es nicht. Da stehen wir auch schon im Konflikt zwischen Mythologie und Theologie. Man kann aber auch zurückfragen, ob denn der EINE nicht in eine Million Gedichte aufgelöst werden darf?

Wir verlassen selbst das Historische, denn die wahre Geschichte ist uninteressant; wir sind auf den Fährten von Geschichten. Eine gute Geschichte verzaubert, löst sich auf, geht ins Feinstoffliche über.

Wir stehen mitten in der Frage, die im Vorgang des Dichtens plötzlich alles durcheinander zu bringen versuchte: Schaum oder Sand? Es betraf den Sprinkler. Sand oder Schaum? Sie sollten umstellen! Von was zu was; mit was begannen sie: mit Schaum oder Staub, mit Staub oder Schaum?

Genauso stellt sich die Frage beim Mädchen: Kommt danach das Fräulein oder die Jungfrau, die Frau oder doch das Fräulein bis ins hohe Alter? Wann erwächst aus einem Girl eine Madame? Müssen die Heldin von Orleans, die Helvetia oder Germania Jungfrau sein?

Um diese komplexe, oberflächige und tiefgründige zugleich, olympische wie jungfrau-liche Thematik einzufangen, reichen weder 100 Gedichte noch Figuren, noch Zeichnungen und Texte in Höhen und Tiefen. Ist ein solcher Mythengang nicht spannend?

Der Tod und das Mädchen – warum?

Es gibt kein anderes Bild, in dem auseinandergefaltet alle Formen des Todes verborgen sind, ausser in der Jungfrau, die entweder Mädchen, Braut und Fräulein oder gar Witwe sein kann.

Entjungfern ist Hinrichtung oder eine Vorausnahme des Todes. Der Übergang vom Mädchen zur Frau ist der Tod der Jungfrau. Die Jungfrau ist ein Zwischenzustand, zwischen Leben und Tod, zwischen wirklich und weg in der Wolke, zwischen verhüllt und Raub.

Das Sterben und der Tod sind fliessend und ihnen gehen manche Abstufungen voraus und folgen im Jenseits oder Dunkeln oder uns – selbst dem Dichter – Unzugänglichen.

In einer Träne mag der Tod stecken. Wenn Tränen fliessen, ist in jedem Tropfen etwas Tod. Tränen lösen Fluten aus; diese schwemmen all das Vergängliche weg. All diese modernen Nymphen sind nichts als Figuren eines Totentanzes. Sie mögen sich entweder an- oder ausziehen, nackt oder extravagant gekleidet sein: es handelt sich stets um Puppen wie bei Heuschrecken oder Termiten mit dem Eiweißbeutel vor der Geschlechtsreife.

Tod ist verborgen in jedem Wandel; change means death; partir, c'est tousjours mourir un peu, und alles dazwischen ist ein Tanz des Todes. Alles Süsse und jede Schokolade ist eine Schwester des Todes. Sweets and Death are sisters. Alles Süsse, das du einnimmst, ist Gift, eine Prise Tod. Selbst der Mond gehört zum Tod, denn er nimmt zu und ab. Mit dem Mond verwandt sind die Brüste. In jeder Brust tanzt etwas Tod.

Tag und Nacht sind ein Versteck des Todes. Mona Lisa mit ihrem zweideutigen und schillernden Lächeln ist die perfekteste, aber auch perfideste Totenmaske und deshalb wird sie niemand je enträtseln.

Meine Gedichte sind ein Ringen mit dem Tod; diese Gedichte sind Todesrätsel.
Die Frau steht eher im Hintergrund;
sie ist bloss der Schleier oder das rote Tuch im Kampf,
den keiner gewinnt.

Al Imfeld         &&&&&

Einstimmung

1

Das Mädchen ist eine Raupe
aus der alle Arten
von tausend Käfern entwachsen
kommen und verschwinden
es gibt kein intensiveres
Symbol der Vergänglichkeit
als das Mädchen

2

das Mädchen
auf dem langen Weg
vom Das zur Die
manche gar
ob pathologisch oder keusch
bleiben Fräulein
bis ans Ende ihrer Welt
sind dennoch keine Mädchen mehr

3

sissi
geht in einen strickclub
lernt heidi kennen

spielt auf der alp
mit ziegen
gretchen ist dabei

goethe
dichtet in distanz
vom himmel aus

am firmament
funkeln andere sternchen
alle kaum versucht

derweil
im bart der ziegen
lauert schon der tod

auf der alp
lässt sich gut
jungfräulich sterben

Requiem in den Götterbergen

das Buch

das Buch

Gemälde von Peter Rüfenacht

1

Vergänglichkeit

junge Göttinnen
nach 2000 Jahren noch minderjährig
nymphisch überreizt

young gods
die zu Witwen wurden
weil die Verehrer starben

skinflowers
am Verwelken
wegen CO2 und Abgasen

jede Zeit holt
die eigenen Sternchen vom Olymp
längst Ovids Abgesang

2

eng

Anna Maiers Kleid war viel zu eng
wollte man sie platzen sehen
aus dem Häuschen fahren

enge T-Shirts was bringen sie
oversize lässt Winde wehen
unter Haut und zu den Hoden

was möchtest du denn
wenn nicht reizen
um ihn eng an dir zu haben

um einzupacken
zu erwürgen
und verzehren