17. V.1994, Holz, Knochen, Porzellan, Eisen & Kupfer, H19cm, B29cm
Oft kommt er überraschend! Es haut Dich aus den Socken! Füße voran abtransportiert! Einfach so …
Mein erster Kontakt mit dem Thema „Der Tod und das Mädchen“ geht auf Franz Schuberts Streichquartett Nr. 14 in d-moll (opus posthum, Deutschverzeichnis 810) zurück. Schon die Eröffnungstakte haben mich ab meiner Jugend ergriffen, bewegt und nie mehr losgelassen. Auch der Umschlag der Platte mit einer Zeichnung eines wohlgeformten, nackten Mädchen-Halbportraits tat seine Wirkung.
Später zogen mich bei meiner Großmutter Doris von Salis – Kind aus Chur, Romanistin und Kunsthistorikerin, die Abbildungen von Werken der Renaissance eines Hans Baldung Grien oder eines Niklaus Emanuel Deutsch in ihren Bann. Die junge Maid, eingereiht in den Totentanz … in voller Jugendblüte umgarnt vom Knochenmann, im Spiegelbild mit dem nackten Schädel … . Aber auch die zweite Großmutter, Elsa Dubs – Dietiker, wußte als Ärztin vom Kampf um Leben und vom Tode zu berichten. Im Pfarrhaus Elgg, meinem Geburtshaus, verwoben sich die Themen von Leben und Tod, von Lebensfreude und Trauer im Berufsleben des Vaters. Tischgespräche, Jugendeindrücke und frühe Erfahrungen, auch in ihrer religiösen Dimension. Meine Großtante Silvia Kind, Cembalistin und Musikpädagogin, verwies verschmitzt auf den von ihr hoch geschätzten Roman Polanski und seinen 1994 gedrehten Film zum Thema „Der Tod und das Mädchen“.
Meine Großväter habe ich nicht erlebt; Jakob Dubs, Chirurg in Winterthur, verstarb 1941 mit 53 Jahren an einem Bronchialkrebs. Oscar Wagner, Textilindustrieller in Pfungen und Turbenthal, starb 1931 mit 39 an einer Sepsis nach einem Badeunfall im Fabrikkanal. Vielleicht hätten sie mir noch etwas über das Mädchen zu erzählen gewußt.
In der weiteren Entwicklung meines Kunstverständnisses, aber auch der erwachenden Sexualität, sind mir dann so viele mehr oder weniger verführerische junge Damen begegnet, wie es mir das Leben eben zutrug. Fern von Pornographie und Erotika, lange noch vor dem Internetzeitalter, boten Galerien, Museen und Kunstpublikationen, seltener auch ein dem Besucher sichtbar gehängtes Original in einem fortgeschritteneren Privathaushalt Quelle zu Inspirationen.
Umso blühender sprossen die Phantasien in meiner Jugend. Etwa erhaschte ich den Kuss, den ein Dienstmädchen im Garten oder in der Waschküche dem sie besuchenden Freund gab. Oder ein Schulschatz ließ mich näher als siebzehn Zentimeter an die sich hübsch darbietenden Lippen heran. Oder Freunde der Familie wie Gnohm, Henricus oder Götti Huber, besonders aber Künstler wie Schneebi oder Puur griffen erotische Themen auf. Die Lektüre von Günter Grass (hochbegabter Schweinehund laut Götti Huber) fügten Szenen bei. So blieb ich auf der Spur, mir ein „Bild zu machen“ vom hübschen Mädchen, das dazu auf der Welt war, Männer zu betören, zu verführen, die Frucht ihres Leibes und ihrer Liebe zu ernten … also zu überleben und unsere Phantasien warm und unsere Art arschkalt zu erhalten.
Wenn sich dann ein Mädchen aus dem Dorfe unter den Zug warf, eine Mitschülerin von Leukämie hingerafft wurde … trat jene Spannung auf, die mich ergriff und nie mehr los ließ. Jenes Konfliktfeld, das sensible Menschen aller Jahrtausende gespürt haben, das Künstler aller Stilrichtungen, Epochen und Kunstarten zu Darstellungen inspirierte.
Heute blicke ich zurück auf ein sehr intensives Leben, auf über 35 Jahre Ehe, auf meine Familie. Auf ungezählte Begegnungen während meiner Studien in St. Gallen (wo die Mädchen auch heute noch besonders hübsch sein sollen), Bern (Modis), San Francisco (chicks), Brüssel, Stanford und Zürich. Ich durchwandle geistig ungezählte Reisen an mehr oder minder exotische Destinationen auf allen Kontinenten. Ich lasse Sequenzen aus Privatkundengesprächen im Banking mit betuchten Mädchen, Damen, Witwen, Vamps und ihren Herren aufblinken.
Über allem steht mein Respekt vor dem Mädchen, der Frau, der Mutter. Die Weiblichkeit im Manne nicht nur zu entdecken, sondern auch zum Zuge kommen zu lassen, tut uns Böcken gut. Wenn wir auf unser Reptilienhirn zurück fallen und testosteron- durchtränkt abfahren, ist das unvermeidbar. Aber dagegen stelle ich Kultur, Ästhetik, Anerkennung für alles, was nur das Weibliche mit Geistesschärfe, Intuition, Heilkraft, Fürsorge, großem Herz und Geduld erreichen kann.
Ich schaue zurück auf Jung’sche Traumdeutungen, ungezählte Schmöker zum Thema Frau, Erotika, Krisen und Freuden, Zorn bis Altersmilde und Transzendenz. Aus all den empfangenen Eindrücken, Lehren, durchflügelten Höhen und erdauerten Tiefen heraus ist eine Objektserie entstanden, deren bildliche und literarische Beackerung mir Sinn ergibt im Nachgang zur 2006 erschienen ALPMAGIE (www.alpmagie.ch), zusammen verfaßt mit Al Imfeld.
Wie weit meine Feststellungen kollektiven Inhaltes und damit allgemein verständlich, aber auch gültig sind – wie weit sie allzu Privates unnötig nach außen stülpen, überlasse ich der neugierigen Leserin, dem geneigten Leser. Es ist und bleibt letztlich die Sicht des Mannes, der „es“ nicht hinausschwitzen kann. Das Halali des Jägers und Sammlers. Beutemuster. Bekennendes Mitglied des Alphornquartetts „the horny four“. In allem, was ich anstrebe, liegt die Achtung des Sakralen, die Sehnsucht nach Transzendenz, die Ergründung des „mysterium coniunctionis“.
Mit ein paar thematischen Gedanken unter den Stichworten „Sirenen, Madonnen & Mädchenikonen“ versuche ich, das Mädchenbild zu umreißen. Dann folgen Variationen zum „Tode des Mädchens“, dem „Burschentod“ und dem „tötenden Mädchen“ und was passiert, wenn das Mädchen überlebt. Es schließt sich dann der Objektreigen an, so wie er vor mir vorbeitanzte.
In der Diskussion um mein Thema „Der Tod und das Mädchen“ haben sich meine langjährigen Künstlerfreunde Al Imfeld als Schmied von Versen wie auch Peter Rüfenacht als Kunstmaler spontan und sprudelnd hinzugesellt, um die Spannung aus dem Thema auf ihre Weise zu reflektieren und darzustellen. Al, der Wirker, Schriftsteller, Soziologe, Tropenagronom, Priester und Reisende auf vielen Kontinenten und Ebenen, vom Kriegsberichterstatter in Vietnam bis zum Dirnenseelsorger in der Schwarzen Szene Zürichs, hat wohl die intensivste Tuchfühlung mit dem Tode genommen. Peter seinerseits ist seit Jahrzehnten meisterhafter Zeichner und Maler von Dramatik und Ästhetik um das Mädchen und die Frau herum.
So gönne ich mir, den Meinen und ihren Nachkommen, aber auch einem erlesenen Publikum den Genuß (vielleicht auch einen Teil Anstoß und Ärger), sich erneut und aus unserer Perspektive mit der Dissonanz von junger blühender Maid und plötzlich herangetretenem Tod aus einander zu setzen. Letztlich ist es auch ein kleines Stück „ars moriendi“. Im Leben müssen wir lernen, was sterben heißt ! Aufgewachsen im Elgger Pfarrhaus, hat der Tod seinen festen Stellenwert im Alltag in Anspruch genommen. Älter werdend genieße ich das Thema mit zunehmendem Schalk und Pläsir.
Einmal mehr rücke ich den Text ins Zentrum, auf die rechte Seite, lasse darum auch das Bild „links liegen“. Alles, was auf schwarzem Hintergrund gedruckt ist, stammt aus meinem Gedankenfach. Auf Weiß gedruckt ist die Poesie von Al Imfeld und auf Grau sind die Arbeiten von Peter Rüfenacht.
Und nun: SALVE, geschätzte Betrachterin, galanter Leser … hübsche Maid und … Bruder Hein!!
Ueli Dubs